Stress im Service Public

Ar­beits­be­ding­ter Stress macht vor dem Service Public keinen Halt

Die Schweizer Arbeitnehmenden stehen zunehmend unter Stress. Dies zeigt eine neue Analyse des unabhängigen Dachverbands der Arbeitnehmenden, Travail.Suisse. Oft bleibt der Service Public dabei unadressiert – Stress sei dort kein Thema. Falsch! Stress macht auch vor dem Service Public nicht halt, die Stressquellen sind dabei vielzählig. Genau darauf wirft transfair einen Blick.

Olivia Stuber
Erschoepfter Mitarbeiter im Öffentlichen Verkehr nach anstrengender Schicht

Generelle Zunahme an arbeitsbedingtem Stress

Der arbeitsbedingte Stress und die Erschöpfung der Arbeitnehmenden nehmen zu. Zu diesem Schluss kommt eine umfassende Analyse «Barometer Gute Arbeit» von Travail.Suisse, dem Dachverband von transfair. Gemäss Erhebung hat die emotionale Erschöpfung der Arbeitnehmenden von 2016 bis 2022 um satte 4 Prozent zugenommen und ist damit von 36 auf 40 Prozent angestiegen.

Das Thema Stress wurde in den letzten Jahren zum prominentesten Problem der Arbeitswelt. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass zwei Drittel der Arbeitnehmenden mindestens gelegentlich in ihrer Freizeit arbeiten, um ihre Arbeitsanforderungen erfüllen zu können.

Stress macht krank

Arbeitsbedingter Stress kann krank machen. Die Analyse zeigt, dass sich leider seit Jahren eine Zunahme an psychischen Erkrankungen abzeichnet, was sich in den Zahlen der Invalidenversicherung ablesen lässt: Von 1995 bis 2021 gab es eine Zunahme psychischer Erkrankungen von 21 Prozent. Diesen unschönen Trend bestätigt die Schweizerische Gesundheitsbefragung: Zwischen 2012 und 2017 steigt das Vorkommen von Depressionssymptomen. Weitere mögliche gesundheitliche Folgen von Stress sind unter anderen Rückenschmerzen, Schlafstörungen oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Stress im Service Public: (k)ein Thema?

Gemäss Volksmund leben die Arbeitnehmenden des Service Public wohl im Schlaraffenland und so etwas wie Stress existiert dort sicher nicht. Doch die Realität sieht ganz anders aus! Das Thema Stress ist auch im Service Public allgegenwärtig. Die Quellen sind vielzählig und tendenziell leider zunehmend. Jede Branche von transfair hat damit zu kämpfen.

In der Öffentlichen Verwaltung wird gespart und reorganisiert

Ein Dauerthema sind Reorganisationen. Ein prominentes Beispiel findet sich beim Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit: Was zu mehr Effizienz und Effektivität führen soll, löst bei den Mitarbeitenden und Vorgesetzten zurzeit nur Stress aus. Seit 2022 sollen der Zoll und das Grenzwachtkorps zusammengelegt werden, was für viele Angestellte neue Funktionen mit komplett neuen Tätigkeitsprofilen und Einsatzarten bedeutet. Die Details dazu sind jedoch noch grösstenteils unbekannt. Diese Unklarheit bedeutet Unsicherheit und ist ein grosser Stressfaktor.

Genauso wild wie reorganisiert, wird gespart. Der Bund hat 2022 mit einem Minus von 4,3 Milliarden Franken abgeschlossen. Jedes Departement und jede Institution müssen nun 2 Prozent einsparen – auch beim Personal. Personell heisst das, dass Stellen entweder nicht neu besetzt oder gar abgebaut werden könnten. Werden Stellen nicht neu besetzt, erhöht dies die Arbeitslast für die übrigen Mitarbeitenden, werden Stellen abgebaut, entsteht ein Angstklima.

Mit weniger Personal mehr bewältigen in der Branche ICT

Der Fachkräftemangel betrifft alle Branchen, insbesondere aber die Branche ICT. Stellen können länger als üblich nicht neu besetzt werden. Die Angestellten müssen in dieser Zeit mehr Aufgaben übernehmen.

Ein weiterer Stresstreiber ist die immer schneller voranschreitende Digitalisierung. Sie zwingt die Mitarbeitenden, sich ständig an neue Anforderungen anzupassen und ihre «Skills» durch (Um-)Schulungen aktuell zu halten. Viele Mitarbeitende können mit diesem ständigen Druck und dem Gefühl «nicht mehr genug zu sein» nur schwer leben, weshalb sie sich entweder entschliessen, Unternehmen zu verlassen oder den Sprung effektiv nicht schaffen und schliesslich vom Unternehmen entlassen werden. So werden teils jahrelang treue Mitarbeitende gezwungen, eine neue Stelle zu suchen. Insbesondere bei der Swisscom häufen sich diese Fälle, dort laufen diese unter dem Namen «Skill Change».

Unrealistische Verkaufsziele bei Post & Logistik

Bei Logistik-Services der Post sind vor allem die schwankenden Paketmengen, Expresszustellungen, die schweren Pakete und der Festverkehr, der eine Vollzustellung an fünf Samstagen ab dem Black Friday vorsieht, dauernde Stressfaktoren. Diese stellen die Arbeitnehmenden aufgrund der mangelnden Planungssicherheit vor grosse Herausforderungen.

Insbesondere bei PostNetz leiden die Mitarbeitenden unter einem enormen Leistungsdruck. Es ist eine Herkulesaufgabe, tolle Kundenerlebnisse zu schaffen, möglichst viele Dienstleistungen und Produkte zu verkaufen und das mit einer personellen Minimalbesetzung sowie maximalen Leistungszielen. Der dadurch entstehende Stress führt zu einer hohen Fluktuation und gesundheitlichen Ausfällen, wodurch der Druck auf die verbleibenden Mitarbeitenden weiter ansteigt.

Tätlichkeiten und kräftezehrende Schichten im Öffentlichen Verkehr

Leider sind Belästigungen, Bedrohungen und Tätlichkeiten gegen das Personal schon länger ein Thema, das sich akzentuiert und robuste Prävention und Prozesse benötigt. Mitarbeitende haben teilweise Angst, zur Arbeit zu gehen, weil sie sich nicht ausreichend geschützt fühlen. Dies führt unweigerlich zu Stress.

Ein weiterer Stressfaktor im öffentlichen Verkehr sind die Dienstschichten. Die langen Schichten, bei Tag und Nacht, führen bei den Arbeitnehmenden zu grossen Belastungen. Sie fordern eine maximale Aufmerksamkeit und einen gekonnten Umgang mit einer grossen Informationsdichte. Leider treten diese körperlich und mental anspruchsvollen Schichten immer öfter während langer Perioden und bei zunehmenden Personalunterbeständen auf.

Stress im Homeoffice: transfair geht dagegen vor!

Eine Stressquelle, die alle Branchen betrifft, ist das Homeoffice. Auch wenn es zahlreiche Chancen bietet, birgt es auch einige Risiken. Wird von zu Hause gearbeitet, wird oft eine ständige Erreichbarkeit vorausgesetzt. Zudem verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeit und Privatem immer mehr, was ein Abschalten erschwert. Um gegen die Risiken der Arbeit im Homeoffice vorzugehen, wurde transfair einerseits politisch aktiv, indem die transfair-Präsidentin und Nationalrätin, Greta Gysin, eine Motion einreichte. Diese beabsichtigte, das Arbeitsgesetz um das Recht anzupassen, während der Freizeit für den Arbeitgeber nicht erreichbar zu sein. Andererseits konnte transfair dieses Recht auf Nichterreichbarkeit in den Gesamtarbeitsverträgen der Swisscom, Post, SBB und SBB Cargo bereits verankern und ist daran, dieses auf alle Sozialpartnerschaften auszudehnen.

Fazit

Entgegen der weitverbreiteten Annahme existieren im Service Public diverse Stressquellen, die in der Tendenz leider zunehmen. transfair setzt sich mit aller Energie dafür ein, diesen Stress zu verringern, beispielsweise durch neue Initiativen wie, das Recht auf Nichterreichbarkeit in Gesamt- und Firmenarbeitsverträgen zu verankern, klare und faire Homeoffice-Regelungen zu schaffen sowie sich für mehr Ferien und eine reduzierte Arbeitszeit stark zu machen.