Wohin geht die Reise mit autonomem Fahren, Digitalisierung und der neuen Arbeitswelt?

Öffentlicher Verkehr

Wohin geht die Reise mit autonomem Fahren, Di­gi­ta­li­sie­rung und der neuen Arbeitswelt?

Mitte November trafen sich rund 85 transfair-Mitglieder in Thun zum Branchenkongress öffentlicher Verkehr. Das Thema: Wie verändert sich die Mobilität – und was bedeutet das für die Mitarbeitenden? Die Botschaft der Expertinnen und Experten: Technologie ersetzt keine Menschen.

Lea Lüthy
Mitglieder im Publikum am Branchenkongress öffentlicher Verkehr 2025 in Thun

Werden Roboter künftig die Züge fahren? Ersetzen Apps das Reisezentrum? Im Kino Rex in Thun diskutieren an diesem sonnigen Donnerstag im November 85 transfair-Mitglieder zusammen mit Expertinnen und Experten über Zukunftsfragen. Christa Hostettler, Direktorin des Bundesamts für Verkehr, eröffnet den Kongress mit einem Inputreferat zur Mobilitätsentwicklung. Ihre Botschaft: «Technologie für sich allein ist nicht vertrauenswürdig. Dazu wird sie, indem wir sie überwachen, verstehen und steuern können.» Genau dafür brauche es Menschen mit Praxiserfahrung aus dem Betrieb. Der digitale Wandel erfordere grosse Investitionen in die Weiterbildung der Mitarbeitenden, damit diese sich die nötigen digitalen Kompetenzen aneignen könnten. 

Véronique Stephan, Leiterin Markt Personenverkehr bei der SBB, zeigt in ihrem Referat auf, wohin die Reise geht: Wer den öffentlichen Verkehr (öV) weiter stärken will, muss die gesamte Mobilitätskette im Blick haben. Fast die Hälfte der Reisezeit entfalle nicht auf die Zugfahrt selbst, sondern auf den Weg zum Bahnhof hin und vom Bahnhof weg. Die erste und letzte Meile sei deshalb entscheidend für die Zukunft des öV. 

Autonomes Fahren im Test

Wie diese erste und letzte Meile künftig aussehen könnte, zeigt die SBB derzeit mit einem Pilotprojekt: Im Frühling 2026 starteten im Zürcher Weinland selbstfahrende Shuttles. «Wir wollen frühzeitig verstehen, welche Rolle autonomes Fahren für den öV spielen kann», sagt Stephan am Branchenkongress. 

Am Nachmittag vertiefen die Fachleute das Thema auf dem Podium. Armin Weber, CEO der Südostbahn (SOB), berichtet von einem weiteren Pilotprojekt: Bei Goldau testet die SOB ein automatisches Fahrassistenzsystem. Dabei geht es nicht nur um Technik – man untersucht konkret, wie die Automation auf Menschen wirkt. Das Lokpersonal wird mit Herzfrequenzmessern überwacht, Eye-Tracking erfasst ihre Blickbewegungen. So versuche man etwa zu verstehen, wie sich der Stresslevel verändert, wenn das Fahrassistenzsystem automatisch bremst, erklärt Weber. Über 75 Prozent der Fahrten werden freiwillig automatisiert gefahren. Für Weber ein Zeichen, dass die Akzeptanz im Pilotprojekt hoch ist. 

Kein Lohndumping auf der ersten und letzten Meile

Ueli Stückelberger, Direktor des Verbands öffentlicher Verkehr, betont: Autonomes Fahren gehöre nicht zur Kernkompetenz der öV-Branche. Man müsse mit Partnern zusammenarbeiten, die dieses Know-how haben. 

Bruno Zeller, Leiter Branche öV bei transfair, warnt jedoch vor den Folgen: Wenn externe Anbieter eine wesentliche Rolle spielen, drohen Lohndumping und schlechtere Arbeitsbedingungen. Seine erste Priorität: attraktive Arbeitsbedingungen bewahren. 

Politik muss Mittel sprechen

Die Finanzierung ist ein weiteres Problem. Grundsätzlich wolle man alles umsetzen, so Stückelberger mit Blick auf die Politik. «Aber wenn es dann ums Bezahlen geht, wird gekürzt.» Speziell beim regionalen Personenverkehr. Seine Warnung: «Wenn wir das Angebot von heute nicht finanzieren können, müssen wir uns kaum Überlegungen machen für zusätzliche Angebote.» 

Führerstand bleibt in Menschenhand – zumindest vorerst

«Das Bahnsystem ist träge. Wir haben Zeit, auf neue Berufsbilder zu reagieren», sagt Zeller. Für das Personal im Führerstand sieht er keine unmittelbare Gefahr: «Lokpersonal wird es Jahrzehnte noch brauchen. Der Bahnbetrieb ist zu komplex.» 

Olivia Stuber, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei transfair, relativiert: In anderen Branchen des Service Public sei die Entwicklung viel schneller. «In der ICT-Branche haben wir neue Technologien praktisch monatlich. Das hat Auswirkungen aufs Personal.» Die Folge: hohe Abbauzahlen, viele Burnouts. Der öV habe durch seine langsamere Entwicklung einen Vorteil – und müsse diese Zeit nutzen, um die Mitarbeitenden mitzunehmen. 

Fünf Forderungen an Politik und Arbeitgeber

Zum Abschluss verabschieden die Mitglieder in Thun eine Resolution. Die zentrale Forderung: Die Mitarbeitenden müssen von Anfang an mitreden können, wenn neue Technologien eingeführt werden.