Vom DJ zum Trampilot
Der Weg ans Bus- oder Tramsteuer führt in der Schweiz über eine Zweitausbildung. Die Fahrerinnen und Piloten kommen also aus den unterschiedlichsten beruflichen Ecken. Stephan Bornick (61) war ein halbes Leben DJ, Radiomoderator und Grafiker. Seit bald zwei Jahren arbeitet er bei den VBZ.
Sarah Hadorn
In weissem Hemd und blauer Weste sitzt Stephan Bornick auf dem Fahrersitz des Zürcher 9er-Trams. Nächster Halt: Heuried. Seit bald zwei Jahren arbeitet er bei den Verkehrsbetrieben Zürich (VBZ). Dass er jemals ein Tram steuern würde, hätte der heute 61-Jährige nie gedacht.
Bern, 1986. Bei Stephan klingelt das Telefon. Der Anruf verändert sein Leben: Er hat den Job als DJ! «Damals gab es noch Agenturen, die DJs an Clubs vermittelten», erzählt Stephan. So eine Agentur engagierte ihn. Allerdings musste der damals 22-Jährige erst 500 Platten auftreiben, die er zu seinen Einsätzen mitbringen konnte. Kurzerhand zog Stephan durch die Hauptstadt, wo er damals wohnte, klapperte alle Firmen ab, die Jukeboxes ausstatteten. «Diese verhökerten Platten oft für einen Franken.»
In sechs Monaten hatte Stephan seine Musik zusammen: Disco, Funk, Pop, Oldies. Kurz darauf bekam er seinen ersten Job: drei Monate in einer Hoteldisco am Vierwaldstättersee. «Ich hatte ein eigenes Zimmer und verdiente 2500 Franken pro Monat – Wahnsinn», erinnert sich Stephan. Dass die Leute lieber an der Bar sassen, als zu tanzen, störte ihn nicht. «So konnte ich üben.» Und schon bald folgte der grosse Sprung: Das «Blackout» in Kloten, einer der damals grössten Clubs der Schweiz, stellte ihn fest an.
Musikchef, Webdesigner, Cartoonist
Als er Mitte 20 war, tauschte Stephan die Plattenteller gegen das Mikrofon: Er ging zum Radio. «Ich stieg als Moderator beim neu eröffneten Radio Argovia ein, war aber innert vier Jahren Musikchef», erzählt er. All die Stunden, die er als DJ in Plattenläden verbracht hatte, um neue Musik zu entdecken, zahlten sich aus.
Sieben Jahre später trieb es ihn schon wieder weiter. «Ich hatte jemanden kennengelernt, der Computer baute.» Stephan war fasziniert von diesem neuen Medium und begann, sich für Computergrafik zu interessieren. Er lernte das Grafikprogramm «CorelDRAW», bildete sich zum Webpublisher weiter – und war bald Webdesigner und Grafiker, zeitweise selbstständig. Nebenbei zeichnete Stephan Cartoons. «Nenn mir irgendein Stichwort und du hast in fünf Minuten einen fertigen Cartoon», sagt er spürbar stolz. «Musik und bildnerisches Gestalten waren lange die beiden Pfeiler meines Berufslebens.»
Ein Missverständnis mit Folgen
Zürich, 2022. Stephan sitzt im Tram, unterwegs zu einem RAV-Kurs. Vor Kurzem hat er seine Stelle als Grafiker verloren – die Pandemie, die Auftragslage. Im Tram sieht er ein Plakat: Trampilotinnen und -piloten gesucht. Er meldet sich bei den VBZ, bekommt einen Termin zu einem Erstgespräch. Nur eine Woche später öffnet er den Link zum Video-Call. «Die Verwirrung war gross», erinnert sich Stephan und lacht. Er wäre erst in drei Monaten dran gewesen, hat den Link viel zu früh geöffnet. «Doch die Person, die an diesem Tag eingeladen war, tauchte nicht auf.»
Stephan kam weiter, ging zum ersten Eignungstest, dann zum zweiten – und bestand. Die dreimonatige Ausbildung startete. Als er dann zum ersten Mal in einem Tram sass, erschrak er. «Ich fahre Auto und Motorrad, doch das ist kein Vergleich», sagt er noch immer beeindruckt. «Als Trampilot bewegt man ein paar Tonnen, der Bremsweg ist dreimal so lang wie bei einem Auto.»
Echtes Interesse und viel Flexibilität
Sein ganzes Berufsleben war Stephan quasi professioneller Quereinsteiger. «Ich habe keine abgeschlossene Berufslehre, mich meist selbst in neue Dinge reingedacht», sagt er. Oft war Glück im Spiel, noch öfter jedoch echtes Interesse und viel Flexibilität. Diese brauchte er auch bei seinem Einstieg in den öffentlichen Verkehr. «Trampilot ist in gewisser Weise das genaue Gegenteil von Radiomoderator oder Cartoonist», erklärt er. «Als Kreativer gehen dir 1000 Ideen im Kopf herum, beim Tramfahren musst du ständig fokussiert im Moment sein. Tramfahren ist für mich nochmals eine Lebensschule.»
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