«transfair hat bereits viel bewirkt»

«transfair hat bereits viel bewirkt»

Tanja Brülisauer hat transfair von 2009 bis 2024 geleitet. Im Interview spricht sie über ihre prägendsten Erlebnisse, schwierige Momente und darüber, warum es transfair in ihren Augen auch künftig noch braucht. Herzlichen Dank für alles, Tanja! Tanja Brülisauer hat transfair 15 Jahre lang geleitet. Im Interview blickt sie auf die grössten Erfolge zurück. Zum Beispiel: die Einführung grosszügiger Elternurlaube oder die Umsetzung des Rechts auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit für Tausende Mitarbeitende im Service Public. Tanja spricht aber auch über schwierige Momente in ihrer Amtszeit und über ihre Hoffnungen für die Zukunft.

Sarah Hadorn Sarah Hadorn
Ein Porträt von Tanja Brülisauer

Tanja, 2023 hattest du einen schlimmen Schicksalsschlag. Dieser hat dazu geführt, dass du die Geschäftsführung von transfair übergeben hast. Magst du erzählen?

Ich hatte einen schweren Hirnschlag. Dadurch erlitt ich eine Schwächung meiner linken Körperseite – ich nahm Objekte und Bewegungen links von mir kaum noch wahr – und musste wieder in normaler Geschwindigkeit sprechen lernen. Das war eine sehr schwere Zeit. Mittlerweile bin ich aber zum Glück wieder gesund.

Darüber sind wir sehr froh. Lass uns zusammen auf die letzten 15 Jahre zurückblicken – in dieser Zeit warst du Kopf und Herz von transfair. Was waren deine prägendsten Erlebnisse?

Etwas vom Tollsten, bei dem ich von Anfang an dabei sein konnte, war die Vaterschaftsurlaub-Initiative. Das Sammeln der Unterschriften war super motivierend, denn alle haben unterschrieben: die Mutter, der alleinstehende Mann, die Bankerin, der Handwerker. Was mich ausserdem immer extrem freute: Wenn ich E-Mails bekam, in denen meine Mitarbeitenden gelobt wurden, zum Beispiel für die hervorragende Betreuung bei einem arbeitsrechtlichen Problem.

Welche Momente waren schwierig?

Durchgehend herausfordernd waren die Finanzen. Umso wichtiger, manchmal aber auch zermürbend, war der ständige Kampf um neue Mitglieder. Was mich zudem oft belastete, war die Konkurrenz unter den Gewerkschaften selbst. Ich habe nie verstanden, warum man sich gegenseitig Steine in den Weg legt, anstatt einander zu unterstützen. Schliesslich kämpfen wir ja alle für die gleiche Sache, auch wenn wir vielleicht andere Wege wählen.

Welchen Weg hat transfair in den letzten 15 Jahren gewählt?

Wir haben unseren Sozialpartnern immer gut zugehört und waren darauf aus, Lösungen zugunsten der Arbeitnehmenden, aber auch der Unternehmen zu finden. Es nützt niemandem etwas, wenn die Arbeitsbedingungen zwar top sind, es das Unternehmen aber irgendwann nicht mehr gibt. Für diesen ganzheitlichen Ansatz steht transfair auch heute noch – er ist quasi die DNA des Verbands. 

Wie hat sich transfair während deiner Amtszeit verändert?

Vor allem haben wir mehr Personal in den Regionen rekrutiert. Nahe an den Mitgliedern zu sein, ist für eine Gewerkschaft das A und O. Zudem haben wir das Marketing und die Kommunikation professionalisiert. Was mich sehr freut: dass transfair neu eine Social-Media-Spezialistin hat. Die Gewinnung junger Mitglieder ist für transfair überlebenswichtig – aber auch eine grosse Herausforderung. Wenn ich Jugendliche bei Werbeaktionen jeweils gefragt habe, ob sie wüssten, was eine Gewerkschaft ist, kam da oft ein Schulterzucken.

Mit welchem Führungsstil hast du es geschafft, dass sich transfair in die richtige Richtung entwickelt?

Ich habe den Mitarbeitenden viel Verantwortung übergeben – mit den dazugehörigen Kompetenzen. Denn wenn jemand zum Beispiel Projektverantwortung hat, aber keine Entscheidungen treffen darf, ist das nicht nur frustrierend für die betreffende Person, es ist auch ineffizient. Zudem habe ich meinen Mitarbeitenden ein grosses Mitspracherecht gewährt. Das war allerdings nicht immer leicht.

Ein Porträt von Tanja Brülisauer

„„Mein Führungsstil? Ich habe meinen Mitarbeitenden viel Verantwortung und ein grosses Mitspracherecht übergeben.

Tanja Brülisauer, Ehemalige Geschäftsführerin von transfair

Warum?

In einem Verband, in dem schon aufgrund der basisdemokratischen Organisation viel diskutiert wird, muss man Debatten manchmal abklemmen. Für mich war zum Beispiel immer klar: Ist eine Entscheidung gefällt, gibt es nichts mehr zu diskutieren, zumindest vorerst. Das musste ich oft durchsetzen, aber stets aus gutem Grund. Denn ich bin überzeugt: Keine Entscheidung treffen ist schlimmer als eine falsche. Diese kann man korrigieren und etwas daraus lernen.

Damit hattest du auf jeden Fall Erfolg. Was waren die grössten Errungenschaften von transfair in den letzten 15 Jahren?

Einerseits haben wir politisch viel bewirkt, zum Beispiel mit unserem Engagement für die Vaterschaftsurlaub-Initiative. Nachdem wir den Gegenvorschlag des Parlaments Ende 2019 akzeptiert hatten, bekämpften wir 2020 erfolgreich das Referendum dagegen. Im selben Jahr wurde der Gegenvorschlag angenommen. Anderseits haben wir es immer wieder geschafft, in den Gesamtarbeitsverträgen (GAV) Verbesserungen zu erzielen, etwa Elternurlaube, die über die gesetzlichen Mindestregelungen hinausgehen, oder das Recht auf Nichterreichbarkeit in der Freizeit.

Blicken wir nach vorne: Welche Herausforderungen siehst du für transfair in Zukunft?

transfair muss sich ganz gezielt gegen Abbau im Service Public wehren. Das könnte zum Beispiel im öffentlichen Verkehr bald Realität sein, denn Anbieter aus dem Ausland drängen auf profitable Strecken. Doch wenn nur noch diese «Schoggistücke» bedient werden, besteht die Gefahr, dass abgelegene Regionen wie das hinterste Tal im Jura den Anschluss verlieren. Genau die flächendeckende schweizweite Abdeckung ist aber ein wichtiger Faktor, warum der Schweizer öV aktuell zu den besten der Welt zählt.

transfair hat in deinen Augen also auch künftig eine Berechtigung?

Unbedingt. Mit seinem Einsatz für den Service Public sichert transfair allen Menschen in der Schweiz den Zugang zum öV, zu Post-Services oder Glasfasernetzen. Ich bin Volkswirtin und weiss: Fehlt dieser chancengleiche Zugang, geht die Schere zwischen arm und reich auseinander. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen sich ein Abbau gewohnter Strukturen – aktuell vor allem wegen der Digitalisierung – nicht aufhalten lässt. Jüngstes und emotionalstes Beispiel ist hier sicher die Reduktion der Poststellen, die bereits viele Arbeitsplätze gekostet hat. Hier ist transfair dazu da, betroffene Mitarbeitende zu begleiten, für sie faire Lösungen und neue Perspektiven zu finden.

Zum Schluss nochmals privat: Was kommt für dich nach transfair?

Nach meinem Schlaganfall musste ich mich neu orientieren und bin derzeit auf Stellensuche. Ich weiss es also noch nicht genau. Worauf ich grosse Lust hätte: für einmal Geld zu sprechen, zum Beispiel für eine Stiftung, statt sprichwörtlich jeden Bleistift zu budgetieren. Aber ich bin auch offen für anderes.