Reizüberflutung als Stressfaktor für Lokpersonal

Öffentlicher Verkehr

Be­sorg­niser­re­gen­d: Lokpersonal immer mehr Reizen ausgesetzt!

Vor 35 Jahren wollte die SBB das Lokpersonal aus Kostengründen in Fernverkehr und S-Bahn-Verkehr aufteilen. Vor diesem Hintergrund hat transfair damals einige Strecken detailgenau auf optische Reize analysiert und konnte die Aufteilung abwenden. Die Fachgruppe Lokpersonal hat das Experiment jüngst wiederholt. Das Resultat lässt aufhorchen.

Bruno Zeller
Lokführer im Cockpit der Lok

Von damals zu heute

Die damaligen Resultate unterstützten transfair mit Gegenargumenten, damit die SBB die Aufteilung in Lokpersonal Fernverkehr und S-Bahn-Verkehr nicht vornahm. Fernverkehrsstrecken sind tendenziell mit weniger Reizen belastet (weniger Signale, konstantere Geschwindigkeiten) als der S-Bahn-Verkehr mit den vielen Halten. Wie vor 35 Jahren hat transfair erneut die Strecke S7 im Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) untersucht. In der neuen Analyse hat transfair eine weitere Verdichtung der Reizimpulse gemessen. Dies bestätigt: Eine Durchmischung zwischen Fernverkehr und Regionalverkehr bleibt sinnvoll. Von damals zu heute hat sich bahntechnisch vieles geändert und das Lokpersonal wird mit anderen Faktoren und mit mehr Komplexität konfrontiert.

Beispiel S7: veranschaulicht Zunahme der Reize

Zur Veranschaulichung wird die Strecke Rapperswil (SG)–Zürich HB–Winterthur dargestellt. Ausserplanmässige Ereignisse oder Einflüsse von Drittpersonen wurden nicht miteinbezogen. Es handelt sich um eine reine Rohvariation der Zugfahrt.

Gesamtlänge Strecke Rapperswil–Winterthur

64 km

Zeit (inkl. betriebliche Arbeiten),
davon reine Fahrzeit

76 Minuten
64 Minuten

Anzahl Reize 1988

564

Anzahl Reize 2023

740

Bei einer Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 60 km/h muss das Lokpersonal alle 86,89 Meter einen Reiz verarbeiten. Das entspricht gegenüber 1988 einer Erhöhung von fast 21 Prozent – Tendenz steigend. Vor allem haben Zwerg- und Blocksignale sowie Geschwindigkeitsvorgaben zugenommen. Das Lokpersonal muss zudem eine grössere Anzahl an internen Prozessen anwenden. Hochgerechnet auf eine durchschnittliche Arbeitsschicht von neun bis zehn Stunden – inkl. Pause – ergibt sich je nach Strecke und reinen Fahrzeiten eine sehr hohe visuelle und mentale Belastung.

Andrea Schleutermann, Lokführerin und verantwortlich für die Analyse von transfair, im Cockpit der Lok
Andrea Schleutermann, Lokführerin und verantwortlich für die Analyse von transfair, im Cockpit der Lok

Fazit: massive Zunahme der Reizüberflutung

Zusammengefasst hält die Fachgruppe fest: Die Reizüberflutung hat massiv zugenommen. Dies führt zu Stress beim Personal, was sich auch mit der aktuellen Studie von Travail.Suisse deckt. Das Projektteam geht davon aus, dass sich die allgemeine Arbeitsbelastung für das Fahrpersonal durch Effizienzsteigerung, enge Fahrzeiten sowie monotone Tourengestaltungen weiter erhöht. Gepaart mit der tendenziell zunehmenden Reizverarbeitung entsteht ein Gefahrenpotenzial für Sicherheit und Gesundheit. Auch in Zeiten der Digitalisierung soll der Fokus weiterhin auf den Schienen sein. Die Studie dient transfair bei der zukünftigen Bahnentwicklung, unterstützt bei Verhandlungen und soll vor zu hoher Arbeitsbelastung schützen.

Erschoepfter Mitarbeiter im Öffentlichen Verkehr nach anstrengender Schicht

Arbeitsbedingter Stress im Service Public

Die Schweizer Arbeitnehmenden stehen zunehmend unter Stress. Dies zeigt eine neue Analyse des unabhängigen Dachverbands der Arbeitnehmenden, Travail.Suisse. Oft bleibt der Service Public dabei unadressiert – Stress sei dort kein Thema. Falsch!