Sorgenkind internationaler Personenverkehr

Öffentlicher Verkehr

Sorgenkind in­ter­na­ti­o­na­ler Per­so­nen­ver­kehr

Noch sind die Verhandlungen mit der EU für ein neues Abkommen nicht gestartet. Aufgrund der erfolgten Sondierungsgespräche zeigt sich jedoch, dass sich eine Liberalisierung des internationalen Schienenpersonenverkehrs (IPV) hartnäckig im Mandat hält. transfair ist besorgt und hat Stellung genommen.

Bruno Zeller

Anhörung der Sozialpartner

An mehreren Treffen mit den Vertretungen von UVEK, SECO und EDA wurden die involvierten Sozialpartner der öV-Branche zum Thema Öffnung des IPV angehört; zuletzt am 18. Januar 2024 direkt beim Vorsteher des UVEK, Bundesrat Albert Rösti. transfair hat dieses Vorgehen sehr begrüsst und die Gelegenheit zur Darlegung seiner Haltung wahrgenommen. Da das definitive Verhandlungsmandat noch nicht geschnürt war, hat sich transfair zusätzlich schriftlich geäussert.

Absicherung des Kooperationsmodells hat Priorität

Wie transfair bereits in seiner Resolution am Kongress 2023 deutlich gemacht und im Januar 2024 mündlich am Treffen mit Bundesrat Rösti dargelegt hat, fordert transfair in den kommenden Verhandlungen mit der EU die Fortsetzung des bewährten Kooperationsmodells mit den ausländischen Bahnen. Die Absicherung dieses Modells hat Priorität, vor einer Marktöffnung. Im Zweckartikel 1 des bestehenden Landverkehrsabkommens wurde der gegenseitige Marktzugang im Schienenpersonenverkehr als Ziel beschrieben. Daraus folgt aus Sicht des Personalverbandes jedoch nicht, dass sich die Schweiz damit bereits zu einer Marktöffnung verpflichtet hätte. Um das weltweit bewunderte, einzigartige und vor allem exzellent funktionierende öV-System zu schützen, lehnt transfair die Liberalisierung des IPV grundsätzlich ab.

Die Schweiz soll weiterhin den IPV selbstständig mit Kooperationen durchführen können. Diese reihen zwei nationale Fernverkehre aneinander. Die SBB gestaltet diese Zusammenarbeit mit den ausländischen IPV-Anbietern, was sich bewährt hat. Mit dem Kooperationsmodell ist der IPV auch ohne Marktöffnung gut durchführbar und von einer laufenden, dynamischen Rechtsübernahme nicht betroffen.

Schutz der Schweizer Errungenschaften

transfair ist überzeugt, dass zudem weitere Schweizer Errungenschaften abgesichert werden müssen und die Schweizer Gesetzgebung auch auf den IPV anwendbar bleiben muss. Die in Aussicht gestellten, der Schweiz während den Sondierungsgesprächen mit der EU zugestandenen Einschränkungen für allfällige IPV-Angebote sind im sogenannten «Common Understanding» festgehalten. Jedoch sind diese für transfair ungenügend und wären deutlich zu verstärken.

  1. Die Trassen für den nationalen Schienenpersonenverkehr (Fern-, Regional- und Ortsverkehr) sowie die Trassen des Güterverkehrs haben Vorrang vor dem ausländischen IPV. Die Trassen des bestehenden Taktverkehrs und beim Ausbau des Takts sind dem nationalen Verkehr vorbehalten. Ausländische IPV-Anbieter haben keinen Anspruch auf eine bestimmte Trasse.
  2. Es braucht eine Tarifintegration und ein Kabotageverbot für IPV-Angebote ausländischer Bahnen in der Schweiz, um Dumpingpreise und die Verdrängung des inländischen Schienenverkehrs zu verhindern.
  3. Streitigkeiten mit einem ausländischen IPV-Anbieter werden durch Schweizer Gerichte geregelt. Gemischte Gremien und EU-Gerichtsbarkeiten sollen nicht zur Anwendung kommen. Die dynamische Rechtsübernahme in Sachen IPV ist auszuschliessen.
  4. Zudem müssten ausländische IPV-Anbieter für allfällig eigenständige Verkehrsangebote in die Schweiz in jedem Fall die Bestimmungen des Eisenbahngesetzes (EBG) und des Personenbeförderungsgesetzes (PBG) erfüllen, um die Netzzugangsbewilligung und die Sicherheitsbescheinigung zu erhalten. Dazu müssten gehören:
  • Genehmigung als Eisenbahnverkehrsunternehmen.
  • Unternehmenssitz in der Schweiz sowie eine Organisationsstruktur, um den sicheren und zuverlässigen Betrieb zu gewährleisten. Genauer gesagt, erreichbare Auskunfts- und Ansprechstelle in einer Landessprache mit Kenntnissen der Tarifregeln, mit Prozessen für betriebliches Störungsmanagement und Unterhaltsmanagement Rollmaterial.
  • Das Lok- und Zugpersonal muss über alle notwendigen Streckenkenntnisse verfügen und die entsprechenden Landessprachen beherrschen.
  • Branchenübliche Arbeitsbedingungen. Dazu zählen das Arbeitszeitgesetz und die Verordnung sowie aus Sicht von transfair die Pflicht, sich einem auszuhandelnden allgemein verbindlichen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) IPV anzuschliessen. Nur eine Richtlinie des BAV erachtet transfair als ungenügend. Als GAV-Sozialpartner kommen der Verband öffentlicher Verkehr und die Personalverbände des öV zumindest infrage. Es sind mindestens die materiellen GAV-Arbeitsbedingungen des nationalen Fernverkehrs in der Schweiz aufzunehmen.

„„transfair ist überzeugt, dass die Öffnung des IPV den öffentlichen Verkehr in der Schweiz mittelfristig nachhaltig schwächt.

Bruno Zeller, Branchenleiter Öffentlicher Verkehr

Kommentar - Bewährtes Kooperationsmodell absichern

Leider zielen die vorsondierten möglichen Zugeständnisse an die Schweiz trotz allem auf eine Öffnung ab. Die Befürchtung ist gross, dass der Schweizer öV mit Verschlechterungen bei Qualität, Sicherheit und Arbeitsbedingungen konfrontiert würde. transfair ist überzeugt, dass jede Abkehr vom Kooperationsmodell und die Öffnung des IPV den öffentlichen Verkehr in der Schweiz mittelfristig nachhaltig schwächen würde. Dies insbesondere zulasten des nationalen Schienenverkehrs, aber auch zulasten des öV-Personals.

 

- Bruno Zeller, Branchenleiter Öffentlicher Verkehr