Bilaterale III: wird der Service Public zum Thema?

Quo Vadis, Bilaterale III? Wieso der Service Public zum Thema werden könnte

Seit dem Abbruch des Institutionellen Rahmenabkommens im Jahr 2021 hat die Schweiz, vor allem durch den Teilausschluss aus dem weltweit grössten Forschungsprogramm, schmerzlich erfahren, was es heisst, mit der EU uneins zu sein. Nun könnten sich die Gespräche zu den Bilateralen III konkretisieren. Was das mit dem Service Public zu tun hat? transfair berichtet.

Olivia Stuber
Bilaterale Verhandlungen EU Schweiz beeinflussen auch den Service Public

Die Bilateralen – worum geht es?

Als Nicht-Mitglied der Europäischen Union ist die Schweiz darum bemüht, ihre Beziehung zur EU auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene via Abkommen und bilateralen Verträgen zu regeln. Besonders bedeutsam sind dabei die Bilateralen I und II. Doch was sind die Bilateralen eigentlich?

Die Bilateralen können als «Päckli» verstanden werden, die verschiedene Abkommen zwischen der Schweiz und der EU zusammenbündeln. Das Paket der Bilateralen I - unterzeichnet 1999 - beinhaltet Abkommen zur (Personen-)Freizügigkeit, zu technischen Handelshemmnissen, öffentlichen Aufträgen, der Landwirtschaft, dem Land- und Luftverkehr sowie zur Forschung und wurde vom Schweizer Stimmvolk gutgeheissen. Es handelt sich mehrheitlich um Marktöffnungsabkommen, die der Schweiz den Zugang zum EU-Binnenmarkt sichern.

Im zweiten Vertragspaket von 2004, den Bilateralen II, wurde die Zusammenarbeit mit der EU über eine rein wirtschaftliche hinaus auf weitere zentrale politische Bereiche, wie Sicherheit, Asyl, Umwelt und Kultur, erweitert. Dazu gehören Abkommen in den Bereichen Schengen/Dublin (Sicherheits- und Asylpolitik), automatischer Informationsaustausch für Steuerfragen, Betrugsbekämpfung, landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte, Umwelt, Statistik, MEDIA (kreatives Europa), Ruhegehälter (Verhinderung Doppelbesteuerung) und Bildung. Auch dieses Paket wurde vom Volk angenommen.

Blockade durch Institutionelles Rahmenabkommen

Seit einiger Zeit sind jedoch die bilateralen Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU blockiert. Grund dafür ist, dass sich die EU entschieden hat, Marktzugangsabkommen, wie sie die Schweiz pflegt, nur noch auf Basis eines zuvor abgeschlossenen Institutionellen Rahmenabkommens abzuschliessen. Wieso?

Die EU erachtet die statischen bilateralen Verträge als stossend zum sich ständig weitentwickelnden Recht der EU. Es entstünden zu grosse Differenzen beider Rechtswelten, weshalb in einem Rahmenabkommen geregelt werden sollte, wie und ob die Schweiz in der Zukunft neues EU-Recht übernimmt und wer im Streitfall Entscheidungshoheit besitzt.

Effektiv übernimmt die Schweiz schon lange das europäische Recht nicht nur bei Verpflichtung aufgrund der bilateralen Verträge, sondern auch aus eigenem Antrieb.

Die Verhandlungen zu diesem Institutionellen Rahmenabkommen starteten 2014 und fanden nach sieben Jahren ihren Abbruch seitens der Schweiz im Mai 2021. Gründe für das Scheitern waren Unstimmigkeiten bei der Personenfreizügigkeit, insbesondere bezüglich der Sozialversicherung, sowie beim Lohn- und Arbeitnehmerschutz.

Das Institutionelle Rahmenabkommen hätte das praktische Aus der sogenannten «Flankierenden Massnahmen» bedeutet. Diese sind jedoch wichtig, denn sie garantieren den Schutz der Erwerbstätigen vor missbräuchlichen Unterschreitungen der Schweizer Lohn- und Arbeitsbedingungen, dem sogenannten Lohndumping. Die Flankierenden Massnahmen wurden 2004 im Rahmen des Personenfreizügigkeitsabkommens eingeführt. Staatsangehörige der Schweiz und der EU und der Statten der Europäischen Freihandelsassoziation erhalten mit diesem Abkommen das Recht, ihren Arbeitsort bzw. Aufenthaltsort innerhalb der Staatsgebiete der Vertragsparteien frei zu wählen.

Schweizer Löhne und Arbeitsbedingungen wären demnach durch das Institutionelle Rahmenabkommen stark gefährdet gewesen, weshalb transfair und sein Dachverband Travail.Suisse, die Entscheidung des Bundesrats zum Abbruch der Verhandlungen unterstützten.

Konsequenz: Teilausschluss Horizon Europe

Als Reaktion auf den einseitigen Abbruch der Verhandlungen Rahmenabkommen, wurde die Schweiz von Horizon Europe, dem weltweit grössten Forschungs- und Innovationsförderprogramm, teilweise ausgeschlossen. Bis auf Weiteres wird die Schweiz als nicht assoziierter Drittstatt behandelt, was bedeutet, dass sich Schweizer Forschende bei der EU nicht mehr für wichtige Einzelprojekte bewerben können. Ein herber Schlag, denn das hat zur Folge, dass exzellente Forscherinnen und Forscher keine Anreize mehr haben ihre Forschungsarbeiten in der Schweiz zu betreiben und ans Ausland verloren gehen. Damit wandern auch potenzielle Startup Gründerinnen und Gründer ab, was den Arbeitsmarkt negativ beeinflusst. Der Forschungs- und Wirtschaftsstandort Schweiz verliert dadurch massiv an Attraktivität und Innovation. Die internationalen Netzwerke der Forschungsinstitutionen verschlechtern sich kontinuierlich und es können finanzielle Einbussen resultieren, was sich negativ auf die Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze in der Schweiz auswirken kann.

transfair hat sich als anerkannter Sozialpartner des ETH-Bereichs erst kürzlich in einer Stellungnahme für eine Vollassoziierung der Schweiz am Forschungsprogramm Horizon Europe ausgesprochen. Um die Zeit, in der die Schweiz keine Vollassoziierung besitzt, bestmöglich zu überbrücken, soll ein Horizon-Fonds geschaffen werden, der die Mittel zugunsten der Schweizer Forschung besser absichern soll.

Bilaterale III?

Trotz gescheitertem Rahmenabkommen und Teilausschluss aus Horizon Europe sind sowohl die Schweiz als auch die EU weiterhin an einer guten Beziehung zueinander interessiert. Aus diesem Grund wurden nach dem Scheitern des Institutionellen Rahmenabkommens, Verhandlungen zu einer potenziellen Neuauflage der bilateralen Verträge mit einem neuen Paket, den Bilateralen III, gestartet. Im Auftrag des Bundesrats führt das Aussendepartement (EDA), unter Leitung von Staatssekretärin Livia Leu, mit Vertreterinnen und Vertretern der EU, Sondierungsgespräche. Dabei geht es darum, die Bereitschaft beider Parteien bezüglich eines potenziell neuen Pakets bilateraler Abkommen in Erfahrung zu bringen. Zeigen beide Seiten Interesse, wird beiderseits ein Verhandlungsmandat beschlossen und die eigentlichen Verhandlungen zur Ausarbeitung der Bilateralen III würden beginnen. Der Bundesrat wird Ende März 2023 eine Standortbestimmung vornehmen, wobei er entscheiden wird, ob die Sondierungen abgebrochen oder weitergeführt werden, oder ob er ein Verhandlungsmandat beantragt.

Thema der staatlichen Beihilfen

Nebst dem Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen, sind offenbar auch die staatlichen Beihilfen ein relevantes Thema bei den Sondierungsgesprächen mit der EU.

Staatliche Beihilfen sind finanzielle Vorteile, die vom Staat oder durch staatliche Mittel selektiv gewährt werden, beispielsweise in Form einer Direktzahlung oder durch Steuererleichterungen. Um eine flächendeckende Grundversorgung gewährleisten zu können, erhalten erhalten im öffentlichen Sektor unter anderen die Post, SBB oder Swisscom staatliche Beihilfen.

Gemäss EU können staatliche Beihilfen den Wettbewerb verfälschen, weshalb diese in der EU grundsätzlich verboten sind. Im Rahmen der aktuellen Gespräche, stellt die EU anscheinend diverse Forderungen bezüglich staatlicher Beihilfen an die Schweiz.

Mögliche Folgen für den Service Public

Aktuell ist es noch zu früh, um die potenziellen Folgen von Anpassungen bei den staatlichen Beihilfen wirklich abschätzen zu können. Als Personalverband des Service Public, setzt sich transfair aber klar gegen Anpassungen bei den staatlichen Beihilfen ein. Würden Beihilfen reduziert oder schlimmstenfalls gänzlich weggelassen, könnten diverse kommunale, kantonale und staatliche Leistungen nicht mehr im selben Umfang oder gar nicht mehr erbracht werden. Das wiederum würde den flächendeckenden Service Public massiv schwächen. Hart erkämpfte gute Arbeitsbedingungen, qualitativ hochstehende Dienstleistungen und letztlich auch wichtige Arbeitsplätze des öffentlichen Sektors könnten effektiv bedroht sein. Der Teufel soll nicht an die Wand gemalt werden, doch die Position der Schweiz gegenüber staatlichen Beihilfen, sollte bereits heute keinen Spielraum erlauben. transfair wird zusammen mit seinem Dachverband Travail.Suisse das weitere Geschehen rund um die Bilateralen III gespannt mitverfolgen und falls nötig, mögliche Angriffe auf den Service Public mit aller Kraft versuchen abzuwenden.

„„Bilaterale III nur mit Schutz der Löhne und des Service Public!

Adrian Wüthrich , Präsident Travail.Suisse und Alt-Nationalrat

Adrian Wüthrich über die Bilateralen III

Seit März 2022 sondiert der Bundesrat mit der EU-Kommission, ob genügend gemeinsame Interessen für ein neues Rahmenabkommen bzw. für ein drittes bilaterales Vertragspaket vorliegen. Für Travail.Suisse ist entscheidend, dass die Löhne und Arbeitsbedingungen sowie der Service Public geschützt bleiben. Nur so ist ein Volksmehr bei einer Abstimmung realistisch.

In den laufenden Sondierungen hat die EU nun offenbar mehr Verständnis für die Position der Schweiz beim Lohnschutz gezeigt, aber auch neue Forderungen bei den staatlichen Beihilfen gestellt. Travail.Suisse ist im Sounding Board vertreten und kann auf diesem Weg direkt die Interessen der Arbeitnehmenden einbringen. Eines ist klar: Nur wenn der Schutz der Löhne und Arbeitsbedingungen gewährleistet bleibt, der Service Public nicht gefährdet wird und die Arbeitnehmenden einen Nutzen sehen, haben die «Bilateralen III» bei einer künftigen Volksabstimmung eine Chance. 

Offen ist weiterhin, welche institutionellen Regeln im Personenfreizügigkeitsabkommen gelten werden. Das ist relevant, damit die Schweiz ihren Lohnschutz selbstständig regeln kann. Wir wollen verhindern, dass der Europäische Gerichtshof unsere Lohnschutzmassnahmen aufheben kann, wie er das in anderen Ländern bereits getan hat. Wir wollen auch genügend Sicherheiten, dass unsere Schweizer Service-Public-Unternehmen mit staatlicher Beteiligung nicht privatisiert werden müssen. Es braucht im Inland genügend Zurückhaltung der Wirtschaft, damit sie die Gunst der Stunde nicht nutzen, um weitere Liberalisierungen voranzutreiben. Die Wirtschaft muss zum Lohnschutz stehen.